by Dr Manfred Hückel

Nur mit Schmetterlingen im Bauch

Buchzusammenfassung in der Leseransprache:

Wo immer die für dich wichtigen Herausforderungen liegen – im Sport, in der Ausbildung, in der Berufswelt oder im Privatleben: Dieses Buch soll dir dabei helfen, dich selbst und andere zu Außergewöhnlichem zu führen. Aber nur mit Schmetterlingen im Bauch! Denn wenn du dieses Kribbeln im Bauch spüren kannst, wenn du an deine wichtigsten Missionen und Ziele denkst, dann kann Großartiges daraus entstehen. So wie beim Verliebtsein...

Das Buch beginnt damit, dir beim Entrümpeln zu helfen, um diejenigen Aufgaben und Rollen zu entsorgen, die dir nicht wichtig sind. Denn erst wenn die Schale leer ist, kann man wieder frischen, heißen Tee reintun, hat einmal ein kluger buddhistischer Mönch (in einem
Hollywoodfilm) gesagt. Daraufhin kannst du mit Hilfe dieses Buches dein ganz persönliches Schmetterlingsmodell entwickeln. Es hilft dir zu erkennen, welche die wichtigsten beruflichen und privaten Rollen für dich sind, wie du sie in Balance halten kannst und wie du für dich selbst außergewöhnliche Missionen entdeckst, die dich mit einem Sinn, deinem ganz persönlichen „WARUM“ erfüllen. Ohne diese Balance fehlt dir die Leichtigkeit, abzuheben und zu fliegen, und du läufst Gefahr, dem Burn-out zum Opfer zu fallen.

Erst wenn du im ersten Teil des Buches erfahren hast, wie du dich selbst mit deinen
Missionen, Jahreszielen und Wochenplänen führen kannst, bist du auch bereit dazu, andere Menschen zu führen. Denn das kannst du. Jeder von uns braucht Leadership Qualitäten, um gemeinsam mit anderen Menschen etwas zu erreichen. Wenn du gemeinsam mit einem Team etwas Großartiges, etwas Außergewöhnliches auf dieser Welt hinterlassen willst, dann wirst du dafür deine ganz individuellen Leadership Stärken gut brauchen können. Und diese eigenen Leadership Stärken zur Entfaltung zu bringen – dabei will dir dieses Buch im zweiten Teil helfen.

Du wirst andere Menschen inspirieren können, indem du mit echter Leidenschaft für die
Erfüllung eines Traumes einstehst und dies zu jeder Zeit, mit jeder Faser deines Körpers zum Ausdruck bringst. Dafür stelle ich dir verschiedene erfolgreiche Arten von Leadership vor, damit du dir eine aussuchst, die zu dir passt. Und ich hätte ein paar Kommunikationstipps für dich, wie zum Beispiel für entscheidende Präsentationen oder Jobinterviews. Dazu gibt es jede Menge Erfahrungsberichte aus dem Sport, dem Bildungsbereich oder der Welt von Red Bull, bei denen ich mich mehr als einmal ordentlich blamiert habe. Das musst du ja nicht unbedingt nachmachen... Zur Erreichung deiner Ziele wirst du dich auch mit dem Thema Manipulation von Menschen und mit Verhandlungstechnik auseinandersetzen. Es liegt an dir, wie weit du gehen willst, um diese Methoden einzusetzen. Bedenke aber, dass diese Art von Beeinflussung nur kurzfristig funktioniert und nicht dauerhaft wie die Inspiration ist, die eine Gruppe von Menschen mit einem gemeinsamen „WARUM“ zu Außergewöhnlichem führt.

Denn das kannst du tun. Du kannst auf dieser Welt gemeinsam mit deinem Team Außergewöhnliches schaffen und deine Art von Denkmal hinterlassen, die der altrömische Dichter Horaz als „aere perennius“ bezeichnet hätte, also dauerhafter als Erz.

Aber nur mit Schmetterlingen im Bauch!

Inhaltsverzeichnis:

Teil 1:
LEADING YOURSELF
WAS WILLST DU ERREICHEN?

Vorwort

King of the Garage!

Kapitel 1: Fang damit an, Dinge nicht zu tun
Zu viel zu tun?
Einfach nicht machen!
Eine wichtige Ausnahme Unwichtiges delegieren?

Kapitel 2: Das Schmetterlingsmodell: Alles, was wichtig ist
Das Schmetterlingsmodell im Überblick
Deine Hauptrollen im Wandel der Zeit
Rollen als Teenager
Rollen verlassen
Wie viele Rollen kann man ausfüllen?
Rollen als Twen
Welche Ausbildung willst du wählen?
Deine Rolle als Ehepartner
Die Rolle der Hausfrau
Du selbst
Dein Sport
Berufliche Rollen
Deine Rolle gegenüber deinem Chef
Als ich mich übernommen habe…

Kapitel 3: Deine Mission in jeder Rolle
Alles beginnt mit einem WARUM?
Ein Beispiel für Sportler
Verweigere Mittelmäßigkeit!
Plane nicht mehr als drei Jahre

Kapitel 4: Jahresziele und Wochenpläne
Do, not just talk
Wichtige Jahresziele für jede Rolle
Die Chancen stehen 50:50, also müssen wir sie nützen
Was machst du nächste Woche?
Mit Genuss abhaken!

Teil 2:
LEADING OTHERS
GEMEINSAM GEWINNEN!

Kapitel 5: Sei ein Leader!
Envision!
Energize!
Enable!
Level 5 Leadership
Die Ethik des indischen Elefanten Wie weit würdest du gehen?
Authentisches Leadership
Islands of Excellence
Leadership Tools

Kapitel 6: Communicate! Der Boxershortskandal
Hör zu!
Präsentationen
Echtes Auftreten
Digitale Kommunikation vs. persönliches Gespräch Kommunikation in der Coronakrise
Das persönliche Gespräch ist unersetzbar!
IQ, EQ, GQ
Von Flugangst und Flugschämen

Kapitel 7: Andere Menschen beeinflussen
Mit Psychologie beeinflussen oder manipulieren
Autorität
Verpflichtung
Gegenseitigkeit
Überzeugungskraft der Masse
Sympathie und Liebe
Willkommen auf der Tupperware-Party!
Wenn du selbst manipuliert wirst

Kapitel 8: Gewinnen in Verhandlungen
Verhandlungsvorbereitung
Werte in Verhandlungen schaffen
Werte gewinnen
Jobinterviews
Die Vorbereitung auf das Jobinterview
Mit Politikern verhandeln
Wie wir eine Schule kauften

Schlusswort: Spürst Du die Schmetterlinge im Bauch?
Erfolge gehören gefeiert!

TEXTPROBE:

Vorwort

Es gibt da diese Geschichte von einer Interviewerin, die die Arbeiter auf einer Großbaustelle befragt, was sie denn hier so machten. Der erste Arbeiter gibt zur Antwort: “Ich arbeite hier von 9 Uhr in der Früh bis um 5 Uhr am Abend.” Der zweite erklärt hochmotiviert: “Ich versuche, der beste Arbeiter auf der gesamten Baustelle zu sein!” Der dritte verkündet stolz: “Wir bauen hier eine Kathedrale!”

Ich wünsche dir, dass du in deinem Leben Aufgaben findest und Wirklichkeit werden lässt, die der Errichtung einer Kathedrale gleichen: Belohnt mit der Aussicht, etwas Außergewöhnliches für Generationen zu schaffen. Und noch mehr wünsche ich dir, dass du etwas ganz Besonderes fühlst, wann immer du an diese Aufgabe denkst – ein Kribbeln im Bauch, wie der Flügelschlag von Schmetterlingen. Denn dann wird dir Großartiges gelingen.

Dabei spielt es keine Rolle, in welchem Alter du damit anfängst. Es kann sein, dass du schon als Teenager dein außergewöhnliches Projekt findest, so wie Sebastian Vettel, der bereits als Elfjähriger glaubhaft darauf hinarbeitete, eines Tages Formel 1 Weltmeister zu werden – noch bevor er seine Zahnspange bekam. Vielleicht musst du aber auch warten, bis du die Vierzig überschreitest, so wie Dietrich Mateschitz, als er damit begann, mit Red Bull eine Weltmarke zu erschaffen, die Flügel verleiht. Es kann aber auch sein, dass du erst viel später damit beginnst – so wie meine liebe Mutter, die als pensionierte Volksschullehrerin den Grundstein für eine Schule in Nimo, Nigeria legte, in der heute über fünfhundert Schüler eine gute Schulbildung bekommen können.

Ich habe mich als Sportler, langjähriger Red Bull Manager, Schulbetreiber und Universitätsdozent immer für Menschen interessiert, die sich mit Mittelmaß nicht zufriedengegeben haben und gerade deswegen Weltklasseniveau in ihrem Beruf oder in ihrem Sport erreicht haben. Dieses Buch ist auch eine Art „Best of“ der Erkenntnisse von herausragenden Menschen dieser Zeit, die ich kennenlernen durfte, gewürzt mit ein paar eigenen Erfolgs- und jeder Menge Misserfolgsgeschichten. Textpassagen mit Red Bull-Bezug entsprechen meinen eigenen Auffassungen, sind nicht von der Firma Red Bull autorisiert und sollen ausschließlich Lernzwecken dienen.

Dies ist ein sehr persönliches Buch über Leadership. Geschrieben ist es speziell für dich, für unsere Kinder und Patenkinder, für unsere Nichten, Neffen und deren Nachkommen und natürlich für alle Studierenden, die ich unterrichten darf. Denn ich will nicht, dass Ihr, sobald Ihr mich seht, fluchtartig auf den nächsten Baum klettert, um meinen Belehrungen und Geschichten zu entgehen – also lieber ein Buch, das man auch mal weglegen kann. Falls es sich bei Ihnen, geschätzter Leserin oder geschätztem Leser, weder um meine Nachkommen noch um Studierende handelt, so bitte ich, die vertraute Anrede zu entschuldigen. Dieses Buch zu lesen, dazu ist jeder Mensch herzlich eingeladen, der herausfinden will, was ihm wirklich wichtig ist und wie man es mit hoher Wahrscheinlichkeit erreichen kann.

Meine eigene Kathedrale besteht aus mehreren Türmchen. Dieses Buch ist eines davon. Ich schreibe dir dieses Buch, weil es mir wichtig ist.

TEIL 1:
LEADING YOURSELF
WAS WILLST DU ERREICHEN?


Es ist nicht wichtig, wer du bist, sondern was du tust…


King of the Garage

Es ist der letzte Arbeitstag vor Weihnachten, und ich räume meinen Schreibtisch in der Red Bull Zentrale in Fuschl am See auf. Ich bin voll Vorfreude auf die Weihnachtszeit mit der Familie, und gleichzeitig habe ich ein tiefes Gefühl der beruflichen Befriedigung, denn ich beende heute ein für meine Firma und mich durchaus erfolgreiches Arbeitsjahr. Ich drehe den Drucker ab und lösche das Licht der verlassenen Büros, steige die Stufen hinunter in die Tiefgarage und setze mich mit einem zufriedenen Seufzer in mein Auto. Durch enge Gänge rollt mein Wagen in Schritttempo Richtung Ausfahrt, als mir der dunkle Geländewagen meines Kollegen R. entgegenkommt. Es ist nicht genügend Platz, um aneinander vorbeizufahren, also muss einer von uns beiden zurücksetzen. Ich halte mich grundsätzlich für einen höflichen Menschen, der in solchen Situationen bereitwillig Platz macht, aber am heutigen Tag entscheide ich mich anders. Vielleicht liegt es daran, dass mein Kollege R., den ich sehr schätze, normalerweise vor Selbstvertrauen strotzt und sich ganz selbstverständlich erwartet, dass man seinem großen Auto immer ausweicht. Oder es liegt daran, dass ich heute in einer besonderen Stimmung bin – jedenfalls entscheide ich mich, diesmal nicht gleich zurückzufahren und abzuwarten, was passiert.

Es passiert gar nichts. Die beiden Autos stehen einander wie zum Duell gegenüber und bewegen sich keinen Zentimeter. Die Sekunden fühlen sich an wie Minuten, und ich bin schon fast so weit, zurückzusetzen und meinem Kollegen die freie Fahrt zu überlassen, als in mir ein neuartiges Gefühl aufkeimt: aufmüpfige Sturheit, mit einem Schuss Rebellion. Das wäre doch gelacht, wenn ich immer nachgeben muss! Ich bleibe jetzt einfach sitzen und warte, irgendwann wird er schon aufgeben. Und je mehr Zeit vergeht, desto entschlossener manifestiert sich mein Wille, aus diesem Duell einmal als Sieger hervorzugehen, auch wenn ich am Heiligen Abend noch in dieser Garage sitzen muss! Ich mache dazu eine fordernd winkende Handbewegung, die mein Gegenüber zum Zurückfahren auffordern soll, kann aber durch die dunklen Scheiben keine Gegenreaktion erkennen. Und endlich – nach einer gefühlten kleinen Ewigkeit – setzt sich der große Geländewagen meines Gegenübers tatsächlich in Bewegung und rollt langsam, sehr langsam zurück.

Mit wilder Euphorie lege ich den Gang ein und balle die Faust in einer Geste des Triumphs. Endlich habe ich mich einmal gegenüber den starken Auftritten von R. durchgesetzt! Im Vorbeifahren lasse ich das Fenster herunter, um meinem Kollegen noch einen aufmunternden Kommentar zurufen zu können. Die Worte bleiben mir allerdings im Hals stecken, denn es ist nicht mein Kollege R., der in dem anderen Auto sitzt.

Stattdessen ist es mein Chef, der Firmengründer und CEO. Er rückt seinen Kragen zurecht und fährt wortlos ganz langsam an mir vorbei…

Warum ich dir das erzähle? Weil ich meine, dass man speziell aus den Fehlern einer langjährigen Managertätigkeit (dieses Buch ist voll davon), aus den peinlichsten Momenten (R. lacht heute noch darüber) und dem absoluten Tiefpunkt einer Karriere unheimlich viel lernen kann.

Zum Beispiel:
In der Firmengarage immer, immer den anderen Autos Vorrang geben, denn man weiß ja nicht, wer drinsitzt.
Oder: Das Jahr ist erst vorüber, wenn es wirklich vorüber ist.
Oder am besten: Wenn man wirklich, wirklich will, kann man alles werden.

Sogar: „King of the Garage“!

TEIL 2:
LEADING OTHERS
GEMEINSAM GEWINNEN!


Es ist nicht wichtig, wer du bist, sondern was du tust.
Noch wichtiger ist es, wie du es tust…


Kapitel 5: Sei ein Leader!

„Wer von Euch will ein Leader sein?“ Mit dieser Frage beginne ich gerne meine Leadership Seminare, und alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeigen mit Bestimmtheit auf. Na klar, sonst hätten sie ja auch nicht meine Lehrveranstaltung ausgewählt. Und dir möchte ich auch zurufen: „Sei ein Leader!“ Entscheide dich ganz bewusst dafür, gemeinsam mit anderen Menschen deine und Eure Visionen zu verwirklichen. Einzelgängern fallen zwar manche Dinge leichter. Aber für mich ist es stets so, dass ein Erfolg, den ich nicht mit anderen Menschen teilen kann, keinen Wert für mich hat. Und wahrscheinlich geht es dir genauso.

Aber was heißt das jetzt, ein Leader zu sein? Es gibt jede Menge Leadership-Definitionen, und es steht einem frei, sich jene auszusuchen, die am besten zu einem selbst passt. Oder die man sich leicht merken kann. Ich habe einmal eine einfache Definition in einem Vortrag von Jack Welch gehört, dem ehemaligen CEO von General Electrics. Welch wurde 1999 vom Wirtschaftsmagazin „Fortune“ zum „Manager des Jahrhunderts“ gekürt, auch wenn er nicht immer alles richtig gemacht hat, wie sich im Laufe der Zeit herausstellte. Aber seine Leadership Definition ist ein guter Einstieg in das Thema, und ich kann sie mir leicht merken, weil sie aus drei (englischen) Begriffen besteht, die alle mit einem „E“ beginnen:

Jack Welch sprach also in seinem Vortrag darüber, dass ein Leader Qualitäten in den folgenden Bereichen haben sollte:
– Envision
– Energize
– Enable

Später wurden zu der Definition noch weitere Begriffe mit „E“ hinzugefügt. Belassen wir es aber zunächst bei diesen drei Überschriften und gehen näher darauf ein, was sie bedeuten sollen:

Envision!

„To envision“ ist die Fähigkeit, mit bildhafter Sprache kommunizieren zu können.
Wir haben schon an anderer Stelle dieses Buches über die Visualisierung des Baus eines Schiffes gesprochen. Antoine de Saint-Exupéry, der französische Nationalheld und Erschaffer des „Kleinen Prinzen“, hat dazu ein bildreiches Beispiel gegeben: Zunächst muss man bei jedem einzelnen Schiffsbauer die „Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer“ wecken, indem man darüber spricht, wie es sich anfühlt, über das Meer zu gleiten, wenn man den Wind in den Haaren spürt, das Salz des Meeres auf den Lippen schmeckt und die Schreie der Seemöwen in den Ohren hallen. Erst wenn alle dieselbe Vision sehen und spüren, soll man mit den ersten Arbeitsschritten loslegen.

Hier ist ein anderes Beispiel: Die zahlreichen Touristen, die Cape Canaveral in Florida besuchen, bekommen stets die Story über den Besuch des legendären Präsidenten J.F. Kennedy erzählt: Er hielt sich häufig nicht an das vorgegebene Protokoll, und auch in diesem Fall tritt er auf einen zufällig anwesenden Mitarbeiter des Reinigungsdienstes zu und fragt ihn nach seiner Arbeit. Der Mann antwortet: „Mr. President, we are bringing a man to the moon!” Dieser Mann soll beispielhaft für eine ganze Nation stehen, die in der Vision vereint war, einen amerikanischen Astronauten – in einer Art Wettstreit mit den russischen Kosmonauten – als ersten Menschen den Mond betreten zu lassen.

Wie lassen sich diese Beispiele mit typischen „Visionen“ aus dem Geschäftsleben vergleichen, wie z.B. „zweistelliges Wachstum erreichen“, „Marktanteile dazugewinnen“ oder „Profitabilität steigern“? Nun, solche Schlagwörter klingen zwar ambitioniert für die Unternehmensspitze, sind aber vielen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen völlig egal. Den großen Unterschied macht eine Vision aus, die beispielsweise auch einen jungen Verkaufsassistenten oder eine teilzeitbeschäftigte Buchhalterin antreibt, wenn sie morgens aufstehen, die sie über die Phasen des Zweifelns hinwegbringt, die es in jeder großen Aufgabe gibt, und die schließlich ein gesamtes Team zur gemeinsamen Höchstleistung antreibt.

Die stärkste „Business Vision“ eines Red Bull Teams, dem ich viele Jahre angehören durfte, basierte auf dem Traum eines Regionalverkaufsleiters in Österreich. In den Anfängen der Firma war es ja nicht gerade leicht, ein Getränk zu verkaufen, das angeblich ungesund sei, nach flüssigen „Gummibärli“ schmeckte und zudem recht teuer sei. Unser Team von sechs Mitarbeitern, die den Heimatmarkt Österreich in Verkauf und Marketing damals bearbeiteten, kommt an einem geschichtsträchtigen Tag zusammen, um zu beraten, was wir nach ersten Anfangserfolgen mit dieser Marke noch erreichen könnten.

Nach einigem Zögern erzählt unser Kollege L. von seinem Traum, in dem wir alle in einem Konferenzraum sitzen, die Tür geht auf, ein Herr im Anzug kommt herein und stellt sich als Vertreter einer Marktforschungsfirma vor. Als nächstes präsentiert der Herr uns im Traum von L., dass Red Bull in Österreich Coca-Cola überholt hat und damit die wertvollste Getränkemarke des Landes ist. „Jetzt werdet ihr mich wahrscheinlich auslachen“, endet L., und genauso ist es auch. Das klingt alles einfach zu unrealistisch. Wir müssten den Umsatz vervielfachen, um eine legendäre Marke zu überholen, die es seit über hundert Jahren gibt und über hundertmal mehr Mitarbeiter verfügt.

Einige erfolgreiche Jahre später schaut es dann aber tatsächlich so aus, dass es sich innerhalb der nächsten drei bis vier Jahre ausgehen könnte, wenn wir noch einen ordentlichen Wachstumsschub hinzufügen könnten. Damit wird der Traum von L. zur offiziellen Vision des Teams von Red Bull Österreich, das mittlerweile aus ca. 50 Personen besteht. Je näher die Erreichbarkeit rückt, desto mehr Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind überzeugt, dass wir es schaffen werden. Wir beginnen damit, darüber zu reden, wie wir diesen Erfolg feiern werden, und man einigt sich auf ein Partyboot vor Ibiza, ein Katamaran muss es schon sein, mit weißen Segeln, und wir schicken uns gegenseitig die neueste „Café del Mar“-CD, um den Sound von Ibiza auch schon mal im Ohr zu haben. Schließlich glaubt jedes einzelne Teammitglied – von der Verkaufsassistentin bis zum Studenten auf Ferialjob – so sehr daran, dass die Erreichung der Vision unvermeidlich wird. Schließlich ersuchen einige ihre Freunde und Familienmitglieder noch im entscheidenden Jahr, kein einziges Coca-Cola anzurühren, weil genau diese Flasche oder Dose den Unterschied ausmachen könnte.

Am Jahresende planen wir ein großes Meeting mit allen Teammitgliedern in Wien, und L., der knapp vor seiner Pensionierung steht, wird nichtsahnend in die erste Reihe gesetzt. Zu Beginn unserer Konferenz öffnet sich die Tür, ein Herr im Anzug erscheint und stellt sich als Repräsentant einer Marktforschungsfirma vor. Wenig später startet er seine PowerPoint Präsentation und kommt bis zu dem Chart, das belegt, dass Red Bull wertmäßig Coca-Cola in Österreich überholt hat und damit die Nummer 1 Getränkemarke geworden ist. Ich beobachte den armen L. in der ersten Reihe, dem die Tränen aus den Augen schießen und beinahe seine dicken Brillen wegspülen. Im Saal bricht die Hölle los, und die Disziplin lässt sich nicht so schnell wiederherstellen. Auch nicht auf Ibiza, wo alle Teammitglieder wenig später auf einem Katamaran die Party ihres Lebens feiern. Aber das ist eine andere Geschichte.

Was bleibt, ist die Überzeugung, dass jeder und jede einzelne im Team diese Vision so deutlich gesehen und gespürt hat und auf den Erfolg so entschlossen hingearbeitet hat, dass er unvermeidlich wurde. Jeder von uns hat den Flügelschlag von Schmetterlingen im Bauch gespürt, wenn wir an die Erfüllung dieses Traums dachten. Dies war ein gigantischer Erfolg für Red Bull, allerdings in einem relativ kleinen Land. Für die gesamte Firma war es dennoch wichtig, die gerade im Begriff war, die Marke Red Bull in mehr und mehr Länder auszurollen. Denn es gab keinen Grund, warum das, was in Österreich möglich war, nicht auch in jedem anderen Land der Erde passieren könnte. Und für einige Mitglieder des Österreich-Teams war das der Beginn einer spannenden internationalen Karriere auf dem Weg von Red Bull zu einer Weltmarke.

Für mich ist ein starker Leader eine Persönlichkeit, die eine ausgeprägte Stärke darin besitzt, gemeinsam mit ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ein „Bild“ von einem außergewöhnlichen Erfolg entstehen zu lassen. Wenn alle Teammitglieder bei der Vorstellung dieser Vision den Flügelschlag von Schmetterlingen im Bauch spüren können, dann ist das Erreichen so gut wie unvermeidlich. Eine starke Vision kann übrigens auch das Vorhaben sein, ein bereits vorhandenes „Bild“, mit dem eine Gruppe unheimlich stark emotional verbunden ist, vor dem Untergang zu bewahren. Eine solche „bewahrende Vision“ verspürten die Retter der St. Gilgen International School am Wolfgangsee angesichts einer drohenden Insolvenz, ohne dass man dies genauer definieren hätte müssen. Als nach ein paar Jahren diese Rettung durch unglaubliche gemeinsame Anstrengungen geglückt war, fand man dann auch eine gemeinsame Formulierung einer wunderschönen Zukunftsvision: „Every child has talent. And Sankt Gilgen International School will develop it.“

Man kann sich diese Fähigkeit der Kommunikation in Bildern bewusst erarbeiten, oder sie kann einem bereits in die Wiege gelegt sein, wie im Fall meines hochgeschätzten Kollegen R. Seine Stärke, stets in Bildern zu kommunizieren, hat ihn zu einem erfolgreichen internationalen Manager gemacht, obwohl er weder einen Studienabschluss gemacht noch jemals richtig Englisch gelernt hat. Seine bildhafte Sprache kann aber auch ein wenig verletzend sein, und ich war regelmäßig Opfer einer seiner kreativen Vergleiche. Vor Beginn einer Konferenz in Rom gingen wir einmal gemeinsam durch die Stadt, weil ich mir eine neue Jacke aussuchen wollte. Modische Kleidung ohne meine stilsichere Frau Angelika auszusuchen, liegt mir nicht so, aber ich hatte ja R. als Verstärkung mit. Nach einigem Suchen fand ich auch wirklich eine Jacke mit vielen Taschen, wie ich es gerne habe, in einem praktischen dunklen Grün. Ich fühlte mich sofort wohl darin und wollte nur noch schnell R. um seine Meinung fragen, bevor ich sie mir leisten würde. Ich sah mich schon meine Frau nach der Rückkehr mit meiner feschen neuen Jacke überraschen – bevor R. mir mit nur einem einzigen Wort die Jacke ausredete: „Postmann…“

Energize!

Jack Welch sagte zu seiner Leadership Definition, wonach ein Leader die Fähigkeit haben sollte „to energize“: „Nobody likes to work for a bore…“ (also: „Niemand arbeitet gerne für einen Langweiler…“). In vielen Positionen geht es für einen Manager allerdings nicht nur darum, kein Langweiler zu sein. Wenn man beispielsweise für eine Energy Drink Firma arbeitet, kann man es sich auch nicht leisten, müde zu sein. Niemals. Das klingt banal, stellte sich aber in der Praxis durchaus als Herausforderung dar, insbesondere im Zusammenhang mit Langstreckenflügen und Jetlag.

Besonders herausfordernd sind beispielsweise Geschäftsreisen nach Japan. Man fliegt ausgeruht am Tage weg, sollte dann im Flugzeug schlafen, kann aber nicht. Die Ankunft erfolgt zu einer Uhrzeit, in der sich der Körper nach einem Bett sehnt. Das spielt es aber leider nicht, weil es jetzt in Japan in der Früh ist und der Arbeitstag beginnt. Als Abgesandter des Red Bull Hauptquartiers ist es völlig ausgeschlossen, sich jetzt ein paar Stunden zurückzuziehen, denn die japanischen Kolleginnen und Kollegen erwarten einen schon gespannt, beobachten einen genau und versuchen, aus unserer Körpersprache zu lesen. Was hilft jetzt? Jede Menge Red Bull und viel Wasser trinken und hoffentlich vor dem Abend eine kleine Laufrunde an der frischen Luft, bevor es zum gemeinsamen Besuch von Kunden in der Nachtgastronomie geht – mit viel zu wenig Schlaf in den Knochen. Und beim unvermeidlichen Karaoke-Auftritt muss man ja auch noch gute Figur machen. Ich rettete mich einmal in meiner Angst vor neuerlichen Frank Sinatra Coverversionen damit, meinen gesangfreudigen japanischen Kollegen alte Wiener Handballlieder beizubringen. Der Text war nicht jugendfrei, aber das wusste ja keiner, und sie sangen lauthals ihrem entfesselten Chef aus Österreich nach, auch wenn sie phonetische Probleme mit dem Meidlinger „L“ hatten.

Es gibt Manager, die ausgeprägte Leadership-Qualitäten aufgrund ihres energiegeladenen Auftritts haben. Sie betreten einen Konferenzraum mit dynamischem Schritt, einem flotten Spruch auf den Lippen und einer ansteckenden Leistungsbereitschaft. Anderen kann die eine oder andere Dose Red Bull weiterhelfen…

Enable!

Falls du keine deiner Stärken in den ersten beiden „E“ wiederfindest, kann es durchaus sein, dass du über außergewöhnliche Leadership Qualitäten im Bereich „to enable“ verfügst. Das bedeutet, dass du die Stärke hast, deinen talentierten Mitarbeitern den Weg zu ebnen, um sie erfolgreich zu machen. Das Gegenteil davon wäre Bürokratie und Politik. Davon gibt es leider jede Menge in großen, multinationalen Firmen. Umso erfolgreicher können jene Manager sein, die ihren jungen, talentierten Mitarbeitern möglichst alle bürokratischen Hürden aus dem Weg räumen, damit sie sich darauf konzentrieren können, worin sie richtig gut sind.

Ich habe mehrere internationale Manager kennengelernt, die auf den ersten Blick aufgrund ihrer scheuen, zurückhaltenden Art zuerst nicht den Eindruck eines starken Leaders hinterließen. Und dennoch waren sie überaus erfolgreich, weil sie ihren besten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen alle Freiheiten ließen und ihnen den Rücken freihielten, wenn sie ins Kreuzfeuer der Kritik gerieten. Diese Charaktereigenschaft des Zueinanderstehens in harten Zeiten ist generell eine Eigenschaft aller starken Leader.

Andererseits gib es jede Menge Manager, die ihren Mitarbeitern in den Rücken fallen, wenn sie einmal schwächeln. Keiner von ihnen wurde je ein starker Leader.

Level 5 Leadership.

In Ergänzung zu Jack Welch’s Definition mit den drei „E“ sollten wir hier gleich eine weitere Definition von Leadership kennenlernen, die Jim Collins in seinem erstklassigen Buch „From Good to Great“ vorgestellt hat: Es hatte sich nämlich herausgestellt, dass langfristiger Erfolg von amerikanischen Unternehmen – auch über das Karriereende von ihren Spitzenmanagern hinaus – von speziellen Eigenschaften der Führungsfiguren abhing: Bescheidenheit, Entschiedenheit, Zurückhaltung, Härte und dem Verzicht auf jegliche Starallüren. Bemerkenswert ist dabei der Gegensatz von sturem Erfolgswillen auf der einen Seite und dem Herunterspielen des eigenen Beitrags auf der anderen. Oft schreiben sie ihre außergewöhnlichen Erfolgsgeschichten dem Beitrag ihrer Mitarbeiter zu oder dem puren Glück. Dies ist eine wesentliche Ergänzung zu den Erfolgsgeschichten von Managern aus der Generation von Jack Welch, denen es häufig egal war, wie sich ihre Firmen nach ihrem Abgang weiterentwickelten. Häufig waren diese sogar erfreut, wenn es nach ihnen abwärts ging, es also „ohne sie nicht ging“.

Zudem kann ich bezeugen, dass auch so gut wie alle anderen herausragend erfolgreichen Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Sport oder Politik, die ich kennenlernen durfte, bescheidene und normale Leute geblieben sind. Bei einem Formel 1Grand Prix in Monte Carlo erlebten wir einmal die gleichzeitige Europa-Premiere des neuesten „Star Wars“ Kinofilms. Das Red Bull Racing Team sorgte damals weniger mit Siegen für Schlagzeilen als vielmehr mit dem Auftritt des Formel 1 Reifenwechselteams in „Storm Troopers“ (Sturmtruppen) Verkleidungen. Am Morgen vor dem Rennen fanden wir uns in einer langen Warteschlange vor dem Frühstücksraum hinter dem weltberühmten „Star Wars“ Regisseur und Produzenten George Lucas, der sich nicht über die Umstände beschwerte und freundlich und höflich darauf verzichtete, vorgelassen zu werden. Ganz anders verhielt sich ein junger Red Bull Mitarbeiter, der sich laut aufspielte: „I am from Red Bull, and I want to sit.“ Dem jungen Mann war keine lange Karriere bei der Firma Red Bull beschieden.

Die Ethik des indischen Elefanten

Dir ist sicher aufgefallen, wie wir krampfhaft die deutsche Übersetzung des Wortes „Leader“ vermeiden, um uns von den von einem „Führer“ ausgehenden abscheulichen Verbrechen vor dem und während des Zweiten Weltkriegs zu distanzieren.Tatsächlich ist es so, dass das Instrumentarium eines Leaders, der andere Menschen führt, sowohl für gute wie auch für abgrundtief böse Zwecke eingesetzt werden kann. Daher sollte man sich immer, wenn es um Leadership geht, auch mit dem Thema Ethik beschäftigen:

Wir empören uns ja völlig zurecht über Fehlverhalten von Managern, Politikern oder Sportlern, die unseren Grundwerten widersprechen. Aber wie können wir sichergehen, dass wir selbst stets mit gutem Beispiel vorangehen? Speziell bei internationalen Tätigkeiten kann man schnell in Situationen geraten, von denen man nicht für möglich gehalten hätte, dass einem selbst einmal so etwas passieren könnte…

In meiner Rolle als „Global Head of Marketing of Sales“ verbrachte ich vor etlichen Jahren ein paar intensive Arbeitstage mit einem indischen Geschäftspartner in Mumbai. Nachdem wir gemeinsam dutzende von Supermärkten, Lokalen und Lagerhäusern besucht und in unterkühlten Meetingräumen konferiert hatten, machte mir dieser eloquente indische Eigentümer unseres Partnerunternehmens den Vorschlag, ich möchte doch vor dem abendlichen Rückflug bei ihm zu Hause auf einen kleinen „Afternoon-Snack“ vorbeikommen. Er würde sich darum kümmern, dass ich rechtzeitig am Flughafen wäre.

Ich hätte es für unhöflich gehalten, diese Einladung abzulehnen, und eine typisch indische „Nachmittagsjause“ klang durchaus verlockend. Wir fahren also gemeinsam zu seinem Haus, das sich bei näherer Betrachtung als indischer Märchenpalast entpuppt. Wie von Geisterhand bewegt, öffnet sich das eindrucksvolle Eingangstor, und vor mir steht ein waschechter Brahmanen Priester, der mir einen großen Farbpunkt auf die Stirn malt und eine Blumenkette umhängt. Ich trete zaghaft ein. Auf mich wartet nicht ein kleiner „Afternoon-Snack“, sondern eine ausgewachsene „Bollywood-Party“ – und das mitten am Nachmittag. Zu den groovigen Klängen eines hippen DJs bewegen sich hinreißende Bollywood-Tänzerinnen in sittsamer Anmut, die Tische biegen sich unter dem Gewicht ausgesuchter indischer Spezialitäten, und die korrekt livrierten Kellner offerieren für diese Uhrzeit überraschend Hochprozentiges. Bevor ich mein heruntergeklapptes Unterkiefer wieder unter Kontrolle bekomme, werde ich zu einem spektakulären Ehrenstuhl geführt, der mich heute an die „Game of Thrones“-Serie erinnert, und die einer Krone ähnliche Kopfbedeckung, die mir aufgesetzt wird, verstärkt diesen Eindruck auch noch.

Ich bin Hauptdarsteller in einem Film, dessen Drehbuch ich nicht kenne. Die elegante Cousine meines Geschäftspartners spielt dabei die Rolle, mir die besten Bissen des üppigen Buffets auf meinen Teller zu legen. Gleichzeitig werde ich mehrfach mit Bestimmtheit darauf hingewiesen, dass es jetzt zum guten Ton gehöre, mit jedem Familienmitglied einen „Wodka Shot“ zu trinken. Hilfe, wo ist er denn jetzt, der Brahmanen Priester? Stattdessen steht eine Schlange freundlich lächelnder Familienmitglieder bereit, deren Anzahl mich leicht überfordert. Die wohlwollend nickenden Eltern des Hauses schaffe ich dabei mit Leichtigkeit, und auch die Brüder und Schwestern meines Geschäftspartners bereiten mir noch keine größeren Probleme. Irgendwann zwischen den Cousins und Cousinen ersten und zweiten Grades fällt mir dann schon die Unterscheidung schwer, wen ich schon getränkemäßig „abgehakt“ habe und wer vielleicht schon zu einer zweiten Runde antritt. Ich bin einfach „geflasht“ von den optischen, musikalischen und sonstigen Eindrücken, die mehr und mehr meine Sinne benebeln, aber mit etwas Glück rette ich mich vom Nachmittag in die Dunkelheit des anbrechenden Abends. Als Höhepunkt der „kleinen Nachmittagsjause“ steht noch ein Feuerwerk auf dem Programm, dessen Feuerkraft es mit einer Silvesternacht in Wien aufnehmen kann. Und hier tritt auch der Brahmanen Priester nochmals in Erscheinung, indem er mein Handgelenk über das der eleganten Cousine legt, ein buntes Band darüber ausbreitet und ein paar Worte murmelt. Kurz schießt mir siedend heiß der Gedanke ein, ob mir gerade eine Zweitfrau angetraut worden ist, dann würde ich daheim nämlich ordentlich Probleme bekommen. Danach beginnt aber auch schon ein herzliches Verabschiedungszeremoniell mithilfe von unzähligen Verbeugungen, natürlich mit sittsam vor dem Herzen gefalteten Händen.

Im Flugzeug nach Europa wache ich einige Zeit später mit einem fröhlich-beschwingten Gefühl auf. Routinemäßig kontrolliere ich die wichtigsten Reisebegleiter: Pass, Handy, Portemonnaie, alles da. Die Krone habe ich nicht mehr auf, die Blumenkette trage ich aber schon noch, und der Punkt auf der Stirn ist sicher auch noch drauf. Allerdings finde ich in meinem Jackett einen Umschlag, der dort nicht hingehört. Er enthält ein Schreiben des indischen Geschäftspartners, in dem er sich für unsere bisherige und zukünftige fruchtbare Zusammenarbeit bedankt und hofft, ich hätte den kleinen „Afternoon-Snack“ in seinem bescheidenen Zuhause genossen („Zwinkersmiley“). Er wolle mir noch den zutiefst empfundenen Respekt und die höchste Wertschätzung seiner gesamten Familie zum Ausdruck bringen und mich höflich darauf hinweisen, dass sie sich erlaubt hätten, für mich einen zweiten Koffer mit einem kleinen Geschenk einzuchecken. Wie? Was? Einen zweiten Koffer für mich einchecken, geht das in Indien? Na, da bin ich aber gespannt. Ein paar Stunden später stehe ich am heimatlichen Flughafen neben dem Rollband, welches zuerst meine eigene Reisetasche ausspuckt und dann auch noch den mir beschriebenen weiteren kleinen Koffer, der meinen Namen trägt.

Ich hebe ihn vorsichtig herunter und bin zunächst überrascht von seinem enormen Gewicht. Immer noch mit dem Punkt auf meiner Stirn, der leicht ramponierten Blumenkette um den Hals und mit dem zerknitterten Sakko über dem Arm, in dem ich die Party und den Flug verbracht habe, schiebe ich die beiden Koffer am Zoll vorbei ins Freie. Offenbar müssen mich die beschwörenden Worte des Brahmanen unsichtbar gemacht haben, denn ich werde von den freundlichen Zollbeamten nicht aufgehalten. Von selber wäre ich in meinem übermüdeten Zustand nicht im Entferntesten auf die Idee gekommen, dass in dem Koffer etwas sein könnte, wofür sich der Zoll interessierte. Irgendwie schade, denn ich hätte ja eine ungewöhnliche Geschichte zu erzählen gehabt.

Zu Hause angekommen, beichte ich gleich mal die gesamte Geschichte meiner verständnisvollen Ehefrau – inklusive des Teils mit der Cousine. Sie wäre ohnehin irgendwie draufgekommen, sie kommt immer auf alles drauf. Gemeinsam machen wir gespannt den schweren Koffer auf – und mittlerweile plagt mich der Gedanke, ich könnte ungewollt zum Drogenkurier geworden sein, man weiß ja nie. Nein, es findet sich nichts Illegales in dem Koffer, sondern ein wunderschön bemalter indischer Elefant aus Stein. Er lacht uns in all seiner Weisheit und Güte an, und es dürfte auch ein bisschen Schadenfreude dabei sein. Wir verlieben uns sofort beide in seine Anmut – und er wandert zunächst mal auf die Kommode unseres Schlafzimmers.

Nachdem ich endlich eine wohltuende Nacht in meinem eigenen Bett verbracht und auch den Punkt auf meiner Stirn abgewaschen habe, beginnt bei mir endlich die Frage zu dämmern, ob ich das Behalten dieses Elefanten mit meinen eigenen ethischen Grundsätzen vereinbaren kann. Für ein Zollvergehen ist er wohl nicht wertvoll genug, aber was ist mit dem Thema „Geschenkannahme“?

Mein erster Arbeitgeber, die Konsumgüterfirma Procter & Gamble, hatte mir eine wohltuende „Zero-Tolerance Policy“ mit auf den Berufsweg gegeben, wonach man nicht einmal das kleinste Geschenk annehmen durfte – samt dazugehöriger einwandfreier Begründung. Schließlich gibt es auch gesetzliche Rahmenbedingungen dafür, die allerdings von Land zu Land stark abweichen. Trotz des Abschlusses zweier Studien war dies das erste Mal, dass ich mich mit einer ethischen Fragestellung in der Geschäftswelt beschäftigt habe. Dankbar nahm ich diesen ethischen Kompass als Jungmanager an.

Nachdem ich im Jänner 1995 dem Ruf einer inneren Stimme zu Red Bull gefolgt war, wo man mit den ersten internationalen Expansionsschritten so beschäftigt war, dass die internen Regeln zum Thema Geschenkannahme noch in Entwicklung waren, hatte ich meine ehrenvollen Procter & Gamble Prinzipien mit übernommen, bis ich damit zum ersten Mal so richtig an die Wand fuhr. Denn ein hochgeschätzter südosteuropäischer Geschäftspartner empfand sich so respektlos behandelt, als ich ihm sein teures Montblanc Kugelschreiber Geschenk zurückschickte, dass ich mir eine neue ethisch korrekte Selbstbegrenzung einfallen lassen musste. Ab diesem Tag machte ich potentiellen Geschenkeverteilern klar, dass ich mich über ein persönlich ausgesuchtes Buch oder Musik freuen würde, alles andere könnte ich nicht annehmen. Damit kam ich fast zwei Jahrzehnte gut über die Runden – bis zum indischen Elefanten.

Mein Problem mit dem indischen Elefanten führt mich als Nächstes zu meinem Chef. Nachdem ich ihm den Großteil der Geschichte erzählt habe – den Teil mit den „Wodka Shots“ lasse ich aus, weil ich nicht besonders stolz darauf bin – frage ich ihn, ob ich den Elefanten zurückschicken soll. Seine Meinung lautet, dass ich in diesem Fall den Elefanten behalten könne, wenn ich mich dadurch nicht in Geschäftsentscheidungen beeinflussen lasse. Damit ist für mich aber noch immer unklar, ob dies auch meinen eigenen ethischen Grundregeln entspricht.

Das Thema „Geschenkannahme“ als ethische Grundsatzfrage lässt sich herrlich mit Studierenden diskutieren, am besten im Anschluss an eine Case Study, in der es darum geht, wie weit man selbst für einen Geschäftserfolg gehen würde. Ich hatte bisher Gelegenheit, mit über tausend Studenten aus aller Welt an der WU in Wien, der HSG in St. Gallen (CH) oder der HHL in Leipzig dieses Thema zu besprechen – und mich mit meiner „Elefantenstory“ bei ihnen schon auch zu blamieren. Aus diesen Begegnungen habe ich in – wie ich glaube – signifikanter Klarheit festgestellt, dass es eine Eigenschaft unter den Studierenden gibt, die ihre Einstellung zu ethischen Themen wie „Geschenkannahme“ beeinflusst. Es ist nicht das Geschlecht und schon gar nicht die Herkunft, sondern es ist ihr Alter!

Bei den älteren, teils schon berufserfahrenen MBA Studenten überwiegt die Meinung, man könne ruhig den Elefanten behalten. Wichtig ist, dass er einen nicht bei der richtigen Geschäftsentscheidung beeinflusst. Diese Studenten kann ich damit beruhigen, dass ich einige Zeit nach dem „Afternoon-Snack“ die Entscheidung mitgetragen habe, die Zusammenarbeit mit unserem Geschäftspartner in Indien zu beenden. Nicht, weil wir mit seiner Arbeit unzufrieden waren, sondern einfach, weil es betriebswirtschaftlich mehr Sinn machte, mehrere hundert eigene Mitarbeiter in Indien zu beschäftigen, die für Marketing und Vertrieb von Red Bull in ganz Indien verantwortlich sein würden.

Je jünger die Studenten meiner Lehrveranstaltungen sind, desto öfter ergibt sich nach unseren Diskussionen eine Mehrheit dafür, den Elefanten aus prinzipiellen Gründen zurückzuschicken. Die jüngeren Studenten von Bachelor Studiengängen kommen deutlich öfter zu dieser Einsicht als die Master Studenten. Noch jünger sind die Schüler der Maturajahrgänge an der St. Gilgen International School, wenn ich sie im Rahmen eines Verhandlungstechnikkurses – basierend auf den Prinzipien des „Harvard Program on Negotiation“ – mit dem Fall des indischen Elefanten konfrontiere. Sie gehen mit weniger Voreingenommenheit an ethische Fragen heran als die berufserfahrenen MBA Studenten. Viele sind noch auf der Suche nach ihrem eigenen „ideologischen Kompass“ und dadurch empfänglicher für wohlmeinende Aufforderungen, wie man seinen eigenen positiven Beitrag in dieser Welt leisten könnte.

Damit zu meiner Beantwortung der Fragestellungen zu Beginn dieses Abschnitts: Wie können wir sichergehen, dass wir stets mit gutem Beispiel vorangehen? Du solltest dir spätestens zu Beginn deines Berufswegs deine eigenen ethischen Grundregeln auferlegen. Denn später wird es immer schwerer, wenn dich der wirtschaftliche Druck einer Familiengründung und eines Existenzaufbaus in Versuchung führen wird.

Ob ich den indischen Elefanten behalten habe? Gerade jetzt schaut er mich mit seinen weisen, wissenden Augen an. Wahrscheinlich hätte ich ihn zurückgeben sollen. Aber er hat mich in vielen späteren Fällen inspiriert, das Richtige zu tun.

Wie weit würdest du gehen?

An der Harvard Business School wird der „Siemens Case“ als Beispiel dafür gelehrt, dass eine Summe aus organisatorischen Gründen (diffuse Verantwortungen), individuellem Verhalten (Mund halten…) und externen Rahmenbedingungen (gewohnte Praxis von Bestechungsgeldern bei internationalen Aufträgen) zu systematischem Fehlverhalten in einer gigantischen globalen Organisation geführt hat. Dazu hat aber auch beigetragen, dass Bestechungsgelder unter gewissen Bedingungen vor nicht allzu langer Zeit sogar steuerabzugsfähig waren! Hättest du in einem Verkäuferjob bei Siemens darauf verzichtet, einen gigantischen Auftrag z.B. im arabischen Raum an Land zu ziehen, wenn die Bezahlung von Bestechungsgeldern dafür notwendig gewesen wäre? Interessanterweise wird berichtet, dass sich die Auftragslage bei Siemens nicht wesentlich verschlechterte, nachdem man nach einem sehr aufwändigen Reformprozess prinzipiell die Bezahlung von Bestechungsgeldern ausschloss. Anscheinend hatten sich die Kunden damit schnell abgefunden…

Das Bezahlen von Bestechungsgeldern war also vor nicht allzu langer Zeit steuerlich absetzbar und damit irgendwie gesetzlich geduldet. Sagt uns das Gesetz nicht, was wir tun dürfen und was nicht? Grundsätzlich schon. Allerdings muss ich selbst gestehen, dass ich unmittelbar nach der akademischen Feier als frischgebackener Doktor der Rechtswissenschaften gleich mal das Gesetz gebrochen habe, als ich ein Strafmandat wegen Schnellfahrens bekam. Und das in einem alten Käfer mit 34PS! Weiters muss ich zugeben, dass es mir schon mal schwerfiel, eine gefühlte Ewigkeit auf die Zulassung von Red Bull in einzelnen europäischen Ländern zu warten – trotz des freien Warenverkehrs, einer der Grundfreiheiten der Europäischen Union.

Denn obwohl Red Bull Energy Drink schon in ganz Europa und in so gut wie jedem Land der Welt zum Verkauf freigegeben war, fehlte diese Zulassung für Frankreich bis zum Jahr 2008 immer noch. Und zwar aus verschiedensten, teilweise abenteuerlichen Gründen. Jahr für Jahr bearbeiteten wir die immer neuen Anforderungen der französischen Behörden, Jahr für Jahr bereiteten wir die Markteinführung in diesem großartigen Land vor, deren Konsumenten und Konsumentinnen schon Millionen von Red Bull Dosen aus den Nachbarländern „importierten“, und Jahr für Jahr wurden wir weiter hingehalten und enttäuscht. Zur Vorbereitung auf den Markteintritt in Frankreich hatten wir schon Jahre zuvor eine kleine „Task Force“ aus Mitarbeitern in Österreich, der Schweiz, Monaco und Frankreich gebildet, die neben ihren normalen Jobs auf das Abenteuer der Markteinführung in Frankreich hinarbeiteten. Ich erinnere mich an ein Vorbereitungsmeeting in Paris, nach dem wir alle zum Triumphbogen am Place Charles de Gaulle gefahren waren. Dort standen wir im strömenden Regen in der Dunkelheit, umgeben vom Straßenlärm der vielspurigen Ringstraße und schworen einander auf folgende Vision ein: Eines Tages würden jede Menge Red Bull Minis – Cabrios mit riesiger Red Bull Dose auf dem Buckel – genau an dieser Stelle im Kreis fahren, mit unseren Sampling Girls aus ganz Europa am Lenkrad. Wir schlossen die Augen und stellten uns diese Szene ganz fest vor, bis wir alle beim Gedanken die Schmetterlingsflügel im Bauch spürten und so sehr daran glaubten, dass es eines Tages Wirklichkeit werden musste!

Wir schreiben den 1. April 2008. Der Tag beginnt damit, dass der Schweizer Extremsportler Ueli Gegenschatz in der Dunkelheit auf den Eiffelturm klettert und im Morgengrauen mit seinem Red Bull Gleitschirm zu einem Base Jump abhebt. Er segelt über mich hinweg und landet in der nächsten Straße, unglücklicherweise direkt neben einer Polizeistreife, die ihn gleich mit aufs Revier nimmt. Die Bilder von seinem Sprung sind allerdings im Kasten und werden an internationale TV Stationen verteilt. Später erfahren wir, dass Ueli von den Pariser Polizisten sehr höflich behandelt und schnell wieder auf freien Fuß gesetzt worden ist.

Knapp vor 11 Uhr desselben Tages stehe ich gemeinsam mit Kollegen unserer „Task Force“ und einem Kamerateam auf dem Dach eines Gebäudes an der Place Charles de Gaulle. Vor uns glänzt der „Arc de Triomphe“, der Triumphbogen, in der Vormittagssonne. Wir warten auf die Erfüllung unserer Vision, nämlich die mit all den Red Bull Minis auf diesem Platz. Haben unsere jahrelangen Vorbereitungen funktioniert? Mein Herz pocht bis zum Hals hinauf, ich versuche aber, als „ranghöchster“ Manager mir nichts anmerken zu lassen und so zu tun, als sei alles unter Kontrolle. Tatsächlich fährt ein paar Minuten vor 11 Uhr ein Red Bull Mini auf den Platz, interessanterweise aus Spanien, ordnet sich in den dichten Verkehr ein, verlässt aber nach einer Runde wieder den Platz, da er offensichtlich zu früh dran ist.

Um Punkt 11 Uhr taucht ein weiterer Mini auf. Dann noch einer und noch einer. Aus den Avenues, die sternförmig auf den Place Charles de Gaulle führen, strömen mehr und mehr Red Bull Minis. Sie sind aus Österreich gekommen, aus Deutschland und der Schweiz. Aber auch aus England, Skandinavien, Holland, Belgien, Italien, Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Slowenien und vielen anderen Ländern. Es kommen Dutzende, über 150 Minis sind es bestimmt. Und in allen sitzen zwei euphorische Red Bull Sampling Girls aus ihren jeweiligen Ländern. Sie sind gekommen, um gemeinsam die ersten offiziellen Red Bull Dosen nach Paris zu bringen und einen großen Tag gemeinsam zu feiern.

Auf der Place Charles de Gaulle ist ja grundsätzlich schon viel Verkehr. Und wenn eine Kolonne von so vielen Red Bull Minis im Kreis fährt, entwickelt sich aus dem starken Verkehr ein regelrechtes Chaos, das sich auch auf die angrenzenden Straßen ausbreitet. Im Radio wird bereits das Verkehrsproblem gemeldet, gemeinsam mit der Mitteilung, dass Red Bull endlich in Paris angekommen ist! Die Polizei kommt, um für Ordnung zu sorgen, aber wie stoppt man eine Armee von gutaussehenden, gut aufgelegten Mädchen, die allesamt vorgeben, keinerlei Französisch zu sprechen. Übrigens auch jene aus Frankreich… Die Bilder, die wir von der sicheren Position am Dach aus machen können, sind phantastisch. Heute noch kursieren Fotos und Filme davon im Internet (z.B. „Red Bull 150 Mini Paris“), und in mir steigt ein triumphales Gefühl auf wie bei einem Feldherrn, der siegreich in eine Stadt einzieht.

Was wir hier erleben, ist noch wesentlich spektakulärer, als wir es uns vorgestellt haben, und wir verfolgen mit einem euphorischen Hochgefühl, wie der Verkehr unter uns langsam zum Erliegen kommt. Die Nachrichten über diese Aktion verbreiten sich schnell über Paris, den Rest von Frankreich, nach Europa und bis in die USA. Ich fange schon an, über die Auswirkungen auf die Bekanntheit von Red Bull in Frankreich zu spekulieren und darüber, wie wir diesen Abend noch feiern werden – bis plötzlich die gesamte Szenerie einzufrieren scheint: Armeefahrzeuge rücken an, und wir sehen schwere Waffen!

So, jetzt ist der Zeitpunkt für einen geordneten Rückzug gekommen, und zwar ganz schnell! Wir versuchen verzweifelt, alle Minis anzufunken, sie sollten um Himmels Willen sofort verschwinden – was nicht ganz einfach in diesem Verkehrschaos ist. Ab sofort befinden wir uns auf der Flucht, und ich habe an jeder Straßenecke Angst, als Verantwortlicher für diese Aktion festgenommen zu werden und in einem Pariser Gefängnis zu landen. Von meinem gefühlten Heldentum vor Beginn dieser Aktion ist nichts mehr übrig!

Was wir nicht mehr mitbekommen, ist die darauffolgende „Verfolgungsjagd“ mit offiziellen Polizeifahrzeugen auf der einen Seite und inoffiziellen Red Bull Fahrzeugen auf der anderen. Etwa die Hälfte unserer Minis samt Besatzung wird geschnappt, und die Fahrzeuge müssen sich auf den Champs Élysées aufreihen. Als Nächstes folgt der Auftritt unseres furchtlosen Pariser Anwalts Alain auf seinem Motor Scooter, der mit den Polizisten zu verhandeln beginnt. Nach einer Weile steigt er auf eine Bank und spricht zu den Mädchen: ‘You must promise me now, that you will no longer drive in convoy! Then you are released!’ Die Mädchen kreischen vor Freude auf, umarmen die Polizisten, machen Selfies mit ihnen, geben ihnen Red Bull Dosen zum Probieren und fahren einfach weg – um sich auf eine spektakuläre Party am Abend vorzubereiten.

Bis heute sind alle, die dabei gewesen sind, mächtig stolz auf diesen Tag in Paris, und die französische Red Bull Organisation feierte den Jahrestag am 1. April noch viele Jahre danach. Was aber wäre, wenn die Sache nicht so gut ausgegangen wäre, wenn es eine Verletzung gegeben hätte oder Schlimmeres? Unser lieber Freund und Red Bull Sportler Ueli Gegenschatz machte ein paar Jahre später bei einer Veranstaltung in Zürich einen angemeldeten, legalen Base Jump von einem Gebäude. Sein Schirm öffnete sich nicht richtig, er landete mit viel zu hoher Geschwindigkeit und zog sich tödliche Verletzungen zu. Das Unvorstellbare war eingetroffen. Gerade der liebenswerte, bescheidene Ueli, den jeder von uns seit Jahren kannte, der jeden Sprung akribisch vorbereitete und nichts dem Zufall überließ. Er hatte keinerlei Druck vom Veranstalter, springen zu müssen, es war seine Entscheidung. Aber natürlich spürten wir die Trauer und die große Last der Verantwortung, speziell gegenüber seinen Hinterbliebenen.

Die Stimmung der Schweizer Medien, die grundsätzlich Red Bull gegenüber eher wohlgesonnen gegenüberstanden, schlug schnell um, da man der Firma den Vorwurf machte, Marketing auf Kosten des Risikos von Athleten zu betreiben. Red Bull Angestellte erhielten Morddrohungen, und Demonstrationen wurden vor dem Schweizer Red Bull Büro angekündigt. Diese Welle des Hasses fand ein schnelles Ende, als die Mutter des Verstorbenen darum bat, einfach in Ruhe trauern zu können. Aber es bleibt ein Vorwurf, wie weit man als Sponsor das Risiko mittragen kann, das Extremsportler mit ihren gewagten Aktionen auf sich nehmen. Jede dieser Aktionen muss allein die Entscheidung des Athleten sein, nicht des Sponsors, und der Sponsor hat die Verantwortung, für jede mögliche Verringerung des Risikos zu sorgen. Der Tod von Ueli und anderen Extremsportlern hinterlässt großen Schmerz und Fragen, auf die wir keine Antworten haben.

Wie würdest du handeln, wenn dein wirtschaftlicher Erfolg von dem Risiko abhängt, das ein anderer eingehen muss? Wo wären deine Grenzen? Magst du dir vielleicht Zeit nehmen, darüber nachzudenken, bevor du weiterliest?

Und was sagt deine Religion dazu? Ich kann leider nicht beurteilen, ob der Religionsunterricht an unseren Schulen bei der Beantwortung ethischer Fragen helfen kann, da ich als ungetaufter Schüler „ohne religiöses Bekenntnis“ selbst nie einen besucht habe. Es war der Wunsch meines Vaters, der sich aufgrund seiner Kriegserlebnisse vom Glauben abgewandt hatte, dass sich seine Söhne als Erwachsene selbst ihre Religion aussuchten. Erst als ich unmittelbar vor meiner kirchlichen Trauung mit Angelika, die ja aus dem Heiligen Land Tirol stammt, meine katholische Taufe und Firmung nachholte – geistreiche Freunde bezeichneten diese Zuteilwerdung von drei Heiligen Sakramenten innerhalb eines halben Jahres als „Holy Hattrick“ – genoss ich privaten Religionsunterricht vom hochgeschätzten Herrn Kaplan in Mondsee. Ich erinnere mich gerne an diese Gespräche.

Nicht jedoch konnte ich mich daran erinnern, was man als Firmling zum Herrn Bischof sagen muss, sobald man in der Kirche zur Firmung schreitet. Als ich als einziger Erwachsener hinter der Schlange von jugendlichen Firmlingen, die hintereinander alle dem Bischof etwas ins Ohr flüstern, dem Hauptaltar der Mondseer Basilika langsam immer näherkomme, wächst meine Panik wegen dieses Informationsdefizits. Auch mein Pate Thommy kann mir nicht weiterhelfen, und die Kinder vor uns trauen wir uns nicht zu fragen. Als ich schlussendlich als letzter Firmling beim Herrn Bischof drankomme und er mir sein geweihtes Haupt zuneigt, fällt mir nichts anderes ein, als das Wort „Amen“ in sein Ohr zu hauchen. Das konnte ja nicht ganz falsch sein. Zum Glück rettet der Herr Kaplan auch in dieser Situation mein Seelenheil und assistiert dem leicht überraschten Bischof mit der Erklärung „Er heißt Manfred!“, bevor auch mir die Firmung zuteilwerden kann. Aha, das hätte ich also sagen sollen.

Mein eigenes Religionswissen ist also nicht ganz sattelfest. Wie sehr deine Religion oder dein Glaube dich bei der Wahl deiner ethischen Grenzen beeinflusst, sei dir überlassen. Ein tiefer Glaube ist jedenfalls etwas Wundervolles, wenn er uns dabei hilft, ein guter Mensch zu sein.

Überlege dir bitte jetzt schon gut, welche Werte dir wichtig sind und wie weit du gehen würdest, um deinen Visionen zum Erfolg zu verhelfen. Visionen und Ziele können sich ändern, deine Werte sollten immer Bestand haben.

Authentisches Leadership

Authentisches Leadership ist etwas für Fortgeschrittene. Das Konzept stammt von Harvard Professor Bill George und wird in seinem Buch „True North: Discover Your Authentic Leadership“ beschrieben. Ich habe Bill George im Rahmen des Executive Kurses „Leading Global Businesses“ an der Harvard Business School kennengelernt und war davon beeindruckt, mit welcher Offenheit er über sein eigenes tragisches Schicksal sprach, das ihn zu einem erfolgreichen Business Leader und Professor gemacht hatte.

Der erste Schritt, sein eigenes authentisches Leadership zu entwickeln, besteht darin, sein eigenes „Crucible“ zu entdecken und daraus zu lernen. „Crucible“ würde ich etwas wackelig als „Schicksalsschlag“ übersetzen, also ein Ereignis voll extremer Trauer, extremen Drucks oder extremen Unglücks. Entweder zerbrechen wir daran, oder es macht uns zu dem Menschen, der wir heute sind. Vom Apple Mitbegründer Steve Jobs ist beispielsweise bekannt, dass er als Waisenkind aufwuchs, weil ihn seine eigenen Eltern weggegeben hatten. Dieser Schicksalsschlag, gemeinsam mit dem Erlebnis, von dem Unternehmen gefeuert zu werden, das man mitgegründet hat, haben ihm seine ganz persönliche Leadership Aura verliehen, die ihn zu einem der erfolgreichsten Unternehmer der Welt werden ließ. Sein Aufruf „Vergeude nicht deine Zeit damit, das Leben von jemand anderem zu leben!“ ist ein Ausdruck seiner Authentizität, der viele seiner Fans berührt hat und mich auch. Ich fand es zwar großartig, fast ein Vierteljahrhundert lang meine gesamte berufliche Energie für Red Bull einzusetzen und würde es auch wieder tun. Seit meiner Unabhängigkeit verspüre ich aber, dass berufliche Freiheit ein Teil meiner neuen Lebensqualität ist, den ich nie wieder aufgeben will.

Hier ist ein großartiger Teil seiner berühmten Stanford Rede aus dem Jahr 2005, bei der ich jedes Mal Schmetterlinge in meinem Bauch spüre, wenn ich sie höre: „Eure Arbeit wird einen großen Teil Eures Lebens ausmachen und der einzige Weg, wirklich zufrieden zu sein, ist etwas zu tun, das ihr für großartiges Schaffen haltet. Und der einzige Weg, Großartiges zu leisten, ist, wenn ihr liebt, was ihr tut. Und falls ihr es noch nicht gefunden habt, haltet Ausschau. Gebt euch nicht damit zufrieden. Genau wie bei allen Herzensangelegenheiten werdet ihr merken, wenn ihr es gefunden habt.“

Da ich selbst wohlbehütet aufgewachsen bin und mich für einen Glückspilz halte, der bei den wichtigen Entscheidungen des Lebens stets von seinem Bauchgefühl in die richtige Richtung gesteuert worden ist, habe ich selbst einige Zeit gebraucht, um herauszufinden, was authentisches Leadership für mich selbst bedeutet. Warum wurde ich zu einem Menschen, dem ein Erfolg nur dann etwas bedeutet, wenn er ihn mit anderen Menschen teilen kann? Beispielsweise wurde mir einmal die Ehre zuteil, für meine Leistung als Geschäftsführer der Red Bull Deutschland GmbH in einer speziellen Krisensituation einen firmeninternen Titel verliehen zu bekommen. Damit war auch eine schöne Geldprämie verbunden. Ich musste darauf bestehen, den Preis mit meinem Kollegen zu teilen, dessen Einsatz ich für ebenso entscheidend für den Erfolg in Deutschland hielt.

Nach einigem Graben in meiner Vergangenheit findet sich ein „Crucible“ in meinem Leben im Alter von 17 Jahren. Mein Vater war völlig unerwartet an einem Herzinfarkt gestorben. Meine Mutter fiel daraufhin in eine so tiefe Depression, dass sie ihre Arbeit als Volksschullehrerin aufgeben musste. Und mein älterer Bruder hatte davor schon das Haus verlassen, um auswärts zu studieren. Von einem Tag auf den anderen war die Familie zerbrochen und ich gezwungen, erwachsen zu werden. Dabei half mir mein Handballverein als eine Art Familienersatz, in dem ich täglich zwei bis vier Stunden meines Lebens verbrachte und Freud und Leid teilen konnte. Für mich gab es nichts Schöneres, als nach einem erfolgreichen Auswärtsspiel im Mannschaftsbus gemeinsam den Sieg zu feiern. Mit Dosenbier in der Hand und schmutzigen Handballerliedern auf den Lippen. Das ist bis heute so, sei es auf dem Partyboot vor Ibiza mit dem glorreichen Red Bull Österreich Team, mit den Cheerleadern und Fußballern der Firmenmannschaft, auch wenn wir beim „Copa del Toro“ Turnier meistens im Finale verloren, oder mit den erfolgreichen japanischen Kollegen beim Karaoke…

Ich erkannte, dass mein eigenes authentisches Leadership geprägt war von leidenschaftlichem und ansteckendem Erfolgshunger auf der einen Seite und dem zwanghaften Verlangen, als Teamplayer den Erfolg zu teilen. Und gemeinsam zu feiern! Diese Eigenschaft macht mich wahrscheinlich zu einem schlechten Unternehmer, da ich einen Firmenprofit am liebsten sofort mit allen Teammitgliedern teilen wollte.

Meine „Direct Reports“ in meiner globalen Führungsrolle, also die Manager, die für Regionen wie Nordamerika, Europa etc. verantwortlich waren, bestanden durchwegs aus außergewöhnlich erfolgreichen Führungspersönlichkeiten, die einander schon seit vielen Jahren kannten. Anlässlich eines Strategiemeetings in London unternahm ich das Wagnis, mit ihnen über authentisches Leadership zu sprechen und mein eigenes „Crucible“ mit ihnen zu teilen, was keine einfache Übung ist. Tatsächlich traute sich nach einigem Zögern und Nachdenken einer nach dem anderen, sich zu öffnen und über die eigenen Schicksalsschläge zu sprechen, wobei wir uns natürlich ewige Geheimhaltung schworen. Jeder Einzelne erkannte daraus seine eigenen authentischen Stärken als Leader, die ihn zu dem erfolgreichen Manager werden ließen, die sie heute sind.

Eine signifikant hohe Zahl politischer Führer aus der Vergangenheit waren Waisenkinder oder verloren einen Elternteil früh: Julius Caesar (Vater, 15), Napoleon (Vater, 15), Washington (Vater, 11), Lincoln (Mutter, 9), Lenin (Vater, 15), Hitler (Vater, 13), Gandhi (Vater, 15), Stalin (Vater, 11). Und zu den berühmten Wissenschaftlern und Künstlern auf dieser Liste gehören Kopernikus (Vater, 10), Newton (Vater, vor der Geburt), Darwin (Mutter, 8), Dante (Mutter, 6), Michelangelo (Mutter, 6), Bach (beide Eltern, 9), Händel (Vater, 11), Dostojewski (Mutter, 15) oder Nietzsche (Vater, 4). Allen war gemeinsam, dass sie damit mit einem Mal Sicherheit verloren und gezwungen waren, eine Komfortzone zu verlassen, wie man in Daniel Coyle’s „The Talent Code“ nachlesen kann. Sie alle mussten mit diesem Schicksalsschlag umgehen lernen, sie alle reiften an ihrem „Crucible“.

Sehr häufig stellt für Sportler eine karrieregefährdende Verletzung ein „Crucible“ dar, welches sie ewig prägen wird. Vom unsterblichen Skistar Hermann Maier, der 17 Monate nach einem lebensbedrohlichen Motorradunfall den Comeback Super-G auf der Kitzbühler Streif gewann, über Weltklassetrainer Julian Nagelsmann, derzeit bei RB Leipzig unter Vertrag, der verletzungsbedingt seine aktive Fußballkarriere zugunsten einer frühen Trainerkarriere beenden musste, bis zu den vielen, vielen jungen Sportlern, die aufgrund von schweren Verletzungen eine Alternative zu ihren hochgesteckten Sportambitionen finden müssen. Ich habe bei vielen von ihnen beobachten können, wie der Schicksalsschlag ihres Karriereendes aus ihnen eine gereifte Persönlichkeit machte, die sie zu einem erfolgreichen Manager und Leader werden ließ.

Was ist dein „Crucible“? Ich wünsche dir, dass du von Schicksalsschlägen verschont warst und bleiben wirst. Sie sind für die Entwicklung deiner Leadership Stärken auch nicht notwendig. Wenn einmal etwas Tragisches passieren sollte, nimm dir viel Zeit, um Abstand davon zu gewinnen. Zu einem viel späteren Zeitpunkt wirst du erkennen, wie sehr dich dieses Ereignis geprägt hat. Es hat dich zu einem authentischen Leader gemacht, und das spüren die Menschen, die du führst. Sie werden dich als „echt“ und „geradlinig“ schätzen und als jemanden sehen, der sich selbst stets treu bleibt. Wenn du allerdings erkennst, dass du ständig mit Aufgaben zu tun hast, die deinem Wesen widersprechen, dann musst du auch die Stärke haben, diese Aufgaben abzugeben oder den Job zu wechseln. Ein Teamplayer wird beispielsweise nie gut darin sein, Mitarbeiter abzubauen oder das letzte Prozent Profit aus dem Betrieb herauszuquetschen…


Schlusswort: Spürst Du die Schmetterlinge im Bauch?

Erfolge gehören gefeiert!

Apropos Lateinzitate und Heldengeschichten: Mein Vater liebte geistreichen Humor über alles, und aus diesem Grund kaufte er meinem Bruder und mir stets die Neuerscheinungen von „Asterix“-Bänden. Wir waren begeistert davon! Ich las sie so oft, dass ich sie allesamt irgendwann auswendig konnte. Man hätte mich bei einer Talente-Show auftreten lassen können: Ich brauchte nur einen Satz aus einem Asterix Heft zu hören und konnte sofort sagen, welche Figur ihn sagte und in welchem Band er vorkam. Auch einige Spieler unserer Handballmannschaft teilten meine Leidenschaft für Asterix, und wir konnten uns abendfüllend nur in Asterix-Zitaten unterhalten. Oder zumindest so lange, bis genervte Mitspieler im Mannschaftsbus dazu meinten, „Halt’s Maul, Gallier“ (Julius Cäsar zum gallischen Barden Troubadix in: „Asterix als Gladiator“)!

Ich halte die ersten 24 Asterix Bände, in denen noch René Goscinny die Textvorlagen zu den Zeichnungen Albert Uderzos geliefert hat, für Weltliteratur. Mit dem Tod von Goscinny ging die Genialität leider verloren, auch wenn nach „Asterix bei den Belgiern“ noch weitere Asterix Bände unterschiedlicher Qualität folgten. Der beste von allen Originalbänden ist für meinen Bruder und mich „Asterix als Legionär“! Dieses Heft liefert einen unübertroffenen Reichtum an Zitaten, die in verschiedensten Lebenssituationen anwendbar sind: In rührseligen Momenten („Ist er verliebt?“), beim Einchecken im Hotel („Der Ägypter sagt eins, nicht zwei, aber mit Blick auf die Straße.“), bei Meinungsverschiedenheiten („Darf ich liebenswürdig zu ihm sein?“) beim Gewandkaufen („Seid Ihr sicher, dass das hier eine mittlere Größe ist?“) oder bei Gewichtsproblemen („Ist das das Schwergewicht von Cäsars Armee?“ „Nein, mein Herr!“). Und in seiner Aussagekraft unübertroffen ist das Zitat von Obelix, nachdem die schöne Falbala ihn einlädt, sich ein wenig zu ihr zu setzen, und Asterix ihn auffordert, doch etwas zu sagen: „Wghstrfg!“.

Alle Heldengeschichten mit Asterix und Obelix haben eines gemeinsam: Sie enden mit einem großen Festmahl! Dabei werden unter dem gallischen Sternenhimmel köstlich fette Wildschweine verzehrt, es wird gelacht und getrunken – auch wenn der Barde Troubadix nicht allzu viel davon hat („Nein, du wirst nicht singen!“). Die Helden des bestandenen Abenteuers werden gefeiert, und sie müssen über ihre philosophischen Erfahrungen („Was ich immer noch nicht begriffen habe, ist, warum man Geld statt Suppe in den Kessel getan hat.“) und geographischen Entdeckungen berichten („Na, Obelix! Wie findest du Helvetien so als Land?“ „Flach.“) Das finde ich großartig! Bei so einem gallischen Festmahl wäre ich so gerne mal dabei gewesen! Und ich bin überzeugt, dass diese gemeinsamen Feiern den Zusammenhalt in dem kleinen, uns wohlbekannten gallischen Dorf entscheidend gestärkt haben, um den Römern erfolgreich Widerstand leisten zu können.

Für mich gab es als Handballspieler nichts Schöneres, als nach einem Auswärtssieg gemeinsam auf der Rückfahrt im Bus mit den Mitspielern zu feiern. (Bei Niederlagen war es mucksmäuschenstill im Bus, aber das kam zum Glück nicht allzu oft vor…) Oh nein, die Buschauffeure hatten es nicht leicht mit uns und unseren Gesängen! Wir hatten über die Jahre ein beeindruckendes Repertoire an unanständigen Texten entwickelt. Die Melodien dazu waren allesamt geklaut, aber egal, Hauptsache laut. Wenn die Tormannlegende Helmut Höritsch mit seiner mitreißenden „Oh, Helene!“ die Fahrgäste in unterschiedlichen Lautstärken zum Nachsingen einlud, blieb kein Auge trocken, und mit Rekordnationalspieler Andreas Dittert lieferte ich mir regelmäßige „Gesangskämpfe“. Dabei ging es darum, dass zwei Gegner sich mit zwei unterschiedlichen Liedern so lange gegenseitig anschrien, bis einer davon aufgab oder seine Stimme verlor. Gegen Andis Version von „Hoch auf dem gelben Wagen“ trat ich mit dem Zugslied meiner ehemaligen Einheit beim Bundesheer an, mit dem geschmetterten „Alpenjäger“. OK, darauf bin ich jetzt nicht so wahnsinnig stolz, aber der Eindruck des gemeinsamen Feierns nach einem gemeinsamen Erfolg war so nachhaltig für mich, dass ich auch im späteren Berufsleben immer auf der Suche danach blieb. Und bis heute ist es das schönste und erfüllendste Erlebnis für mich, gemeinsam mit einem Team, das hart dafür zusammengearbeitet hat, einen außergewöhnlichen Erfolg zu feiern.

Erfolge gehören gefeiert! Denn das schweißt ein Team zusammen und macht süchtig nach weiteren Erfolgen! Ein Biologe könnte dir jetzt erklären, welche chemischen Stoffe oder „sozialen Glückshormone“ (wie Serotonin und Oxytocin) dabei in unserem Körper ausgeschüttet werden, die unserer Spezies schon als Höhlenmenschen die soziale Interaktion und somit das Überleben gesichert haben. Ich kann nur sagen, dass es funktioniert! Dabei gehören auch wirklich nur die außergewöhnlichen Erfolge besonders gefeiert. Ich bin kein Freund von ausschweifenden alljährlichen Firmenweihnachtsfeiern, und von Firmenjubiläen halte ich schon gar nichts. Denn es ist keine außergewöhnliche Leistung, wieder einmal um ein Jahr gealtert zu sein. Dabei ist natürlich nichts dagegen einzuwenden, Mitarbeiter am Jahresende zu einem feinen Weihnachtsessen einzuladen, um ihnen ehrlichen Respekt und Dankbarkeit auszudrücken. Aber die großen gallischen Festmähler sollten wir uns für die außergewöhnlichen Erfolge aufheben!

Meine erste Weihnachtsfeier bei Red Bull im Jahr 1995 war ein feines, aber langweiliges Abendessen mit sieben Herren, die vor 22:00 ins Bett wollten. Es gab auch nichts Großartiges zu feiern. Unser Auftrag hatte gelautet, die Umsätze in Österreich auf Vorjahresniveau zu halten, während die ersten offiziellen Red Bull Dosen nach Deutschland geliefert werden konnten. Und das hatten wir nicht ganz geschafft – es waren im Jahr davor doch viele deutsche Red Bull Fans über die Grenze gefahren, um sich in österreichischen Supermärkten und Tankstellen mit Red Bull Dosen einzudecken. Da diese Umsätze jetzt in Österreich fehlten, gab es für den Verkauf in Österreich keinen Grund zu feiern.

Danach – so befürchte ich – war ich hauptverantwortlich für viele, viele teilweise durchaus ausschweifende sogenannte „Jahresendmeetings“ mit Red Bull Mitarbeitern und für ein paar ganz schlimme Tage danach.

Es begann alles mit der Österreich-Truppe. In den Jahren nach 1995 haben wir uns nämlich nicht an den Auftrag gehalten, die Umsätze auf dem Vorjahresniveau zu verteidigen. Stattdessen haben wir sie verfünffacht. Es jagte also ein Rekordergebnis das andere, auch wenn man es nicht für möglich gehalten hätte, dass weitere Steigerungen auf immer höherem Niveau noch machbar wären. Und ich fand, das gehörte gefeiert – mindestens so wie ein Auswärtssieg mit der Handballmannschaft! Irgendjemand aus der Gastronomieabteilung machte dann den Vorschlag, doch mit wirklich allen Kollegen und Kolleginnen gemeinsam – von den Verkäufern bis zu den Sampling-Mädchen – auf eine Skihütte zu gehen. Denn die Hüttenwirte wären ja auch sehr gute Kunden von Red Bull, und die hätten nichts gegen einen Umsatzsprung vor dem Weihnachtsgeschäft. Wir präsentierten bei diesen Jahresendmeetings zunächst allen unseren Kolleginnen und Kollegen von Red Bull Österreich die Geschäftsentwicklung – also das unglaubliche Rekordergebnis – und peitschten sie auf Marketing- und Verkaufspläne für das neue Jahr ein, um wieder neue Rekorde feiern zu können. Nach den Arbeitsmeetings ging es dann zum Abendessen auf eine Hütte in den österreichischen Bergen – statt gallischem Wildschwein gab es traditionelle österreichische Schmankerln. Und statt Rotwein aus dem Avernerland natürlich jede Menge Red Bull Mischgetränke, bis plötzlich alle, wirklich alle, auf den Bänken standen. Mehr magst du dazu nicht wissen, und ich erinnere mich auch nicht mehr an jedes Detail (außer vielleicht an das eine oder andere urpeinliche Luftgitarrensolo…). Einige der besten Mitarbeiter wollten jedenfalls unbedingt Teil dieses Österreich-Teams werden, nur um eines der legendären „Jahresendmeetings“ einmal mitzuerleben!

Als ich ein paar Jahre später für die südliche Hälfte der Länder Europas verantwortlich war, gab es da anfangs nicht viel zu feiern – mit Ausnahme der Schweiz, die sich ähnlich gut wie Österreich entwickelte. Und zu den dortigen Jahresendmeetings bin ich besonders gerne hingefahren, um diesem großartigen Team meinen Respekt zu erweisen. Es gab übrigens Käsefondue als Unterlage zu dem einen oder anderen Red Bull Mischgetränk, und ich fand das Land gar nicht so „flach“ wie Obelix. Nach und nach wurde dann aber jedes einzelne Land im Süden Europas eine Erfolgsgeschichte, und es war für mich immer eine Ehrensache, aus Respekt gegenüber den Kolleginnen und Kollegen in den jeweiligen Ländern selbst bei den Jahresendmeetings dabei zu sein, wenn wieder ein Meilenstein erreicht wurde. In besonders erfolgreichen Jahren mussten wir schon im November damit anfangen, damit sich vor Weihnachten alles bei mir ausging! Oft wollte ich schon gar nicht mehr hinfahren – nach viel zu wenig Schlaf und mit viel zu viel Red Bull von der letzten Veranstaltung im Blut. Aber wenn ich dann den Stolz unserer Mitarbeiter über das Erreichte miterleben durfte und spürte, wie wichtig ihnen meine Anwesenheit dabei war, wurde ich für die körperlichen Strapazen mehr als entschädigt.

Eine besondere Ehre waren für mich die Anlässe, zu denen ich dem Red Bull Team eines Landes die Nachricht überbringen durfte, dass sie aufgrund ihrer besonderen Erfolge in diesem Jahr mit einem speziellen Preis der Konzernzentrale ausgezeichnet worden sind. Unvergesslich wird für mich beispielsweise die Inszenierung bleiben, als ich im Smoking auf einer Bühne über tausend Mitarbeitern von Red Bull North America in Miami zu diesem Erfolg gratulieren durfte. Und ein ganz besonderer Red Bull Cocktail mit meinen sechs engsten internationalen Mitarbeitern bei Sonnenuntergang am Grand Canyon wird mir auch stets in Erinnerung bleiben: Wir hatten uns nach einer Phase der Stagnation in der Finanzkrise 2008/2009 vorgenommen, den weltweiten Absatz von 3 auf 6 Milliarden Dosen zu verdoppeln – und auf diesen Erfolg ebendort mit einem Red Bull Cocktail anzustoßen. Genau das haben wir dann auch im Anschluss an eine Konferenz in Los Angeles gemacht, aber den Flug mit dem Helikopter zum Grand Canyon haben wir uns lieber alle selbst bezahlt, um kein schlechtes Gewissen haben zu müssen.

Bevor du aber jetzt beginnst, nach dem Vorbild des Klassikers „The Great Gatsby“ von F. Scott Fitzgerald (verfilmt mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle!) die nächste Firmenfeier besonders ausschweifend zu planen, möchte ich dich eindringlich warnen: Das ist nur OK, wenn du es auf eigene Kosten machst oder die Firmenleitung und die Personalabteilung dem wohlwollend gegenüberstehen. Ansonsten kann es zu einem sogenannten „Career-limiting Move“ werden (der dich den Job kosten kann) und du bist ganz schnell im Fadenkreuz von denjenigen, die nicht mit dem erfolgreichen Team mitfeiern konnten. Außerdem muss eine unvergessliches „gallisches Fest“ nicht notwendigerweise teuer sein. Mit Kreativität und Engagement kann man auch ohne großes Budget mit dem Team etwas erleben, das einem in Erinnerung bleibt.

Das damalige Leadership Team von Red Bull Deutschland wird sich beispielsweise noch heute daran erinnern, als wir gemeinsam mit Tourenskiern auf einen Berg stiegen, um dort ein Iglu für die Übernachtung zu bauen. Hast du schon mal ein Iglu gebaut? Erst muss man den Schnee zu einer kompakten Form treten, bis man mit Schaufeln Schneeziegel herausstechen kann. Diese Schneeziegel müssen nach innen zu schmaler geformt sein, damit sie beim vorsichtigen Aufstapeln eine gewölbte Form bis hin zum Igludach annehmen. Die Übung dauert mindestens zwei bis drei Stunden, ist enorm schweißtreibend und funktioniert nur, wenn wirklich alle engagiert mitmachen. Am Ende sind wir erschöpft in unserem Iglu gesessen und haben glücklich die Vorräte aus unseren Rucksäcken geteilt – ein unvergessliches Erlebnis, das zusammenschweißt. Zur Übernachtung sind wir dann aber doch lieber in eine Hütte gegangen…

Wenn ich dich jetzt von meinem Prinzip „Erfolge gehören gefeiert“ überzeugt habe – was wirst du tun, wenn du deine Firmenleitung nicht von deinen Plänen für das unvergessliche „Jahresendmeeting“ überzeugen kannst, obwohl du mit deinem Team Außergewöhnliches vollbracht hast? Wirst du darauf verzichten? Das wäre wohl ein Schritt Richtung Mittelmäßigkeit – also nichts für dich. Wirst du manipulative Techniken (Gegenseitigkeit!) einsetzen und die Firmenleitung auch dazu einladen? Das klingt gut, wenn das Fest dadurch nicht allzu förmlich zu werden droht. Wirst du selbst den größten Teil der Kosten übernehmen und die anderen Teilnehmer dazu einladen, auch einen Teil dazu beizutragen? Das kann den Zusammenhalt durchaus nochmal stärken und die Mannschaft bereit für neue Höchstleistungen machen. Oder hast du eine andere Idee? Ich glaube, du bist reif genug, deine eigene Antwort auf diese Frage zu finden. Keinesfalls solltest du bei dieser Entscheidung meinem Vorbild folgen. Ich habe nämlich in meiner Sturheit und Selbstüberschätzung so ziemlich alles falsch gemacht, was man bei diesem Thema falsch machen kann.

Der erste Fehler war die Höhe der Getränkerechnung nach einigen unserer „Jahresendmeetings“. Was die Augen des Hüttenwirts zum Glänzen brachte, hätte im Normalfall dazu gereicht, eine kleine Garnison voller Berufssoldaten in Partylaune zu versetzen und nicht nur eine Gruppe von etwa fünfzig Angestellten, von denen die Hälfte weiblich war. Vielleicht wäre es klüger gewesen, anstelle der großspurigen Ansage „No Limits!“ den Kolleginnen und Kollegen eine überschaubare Anzahl an Getränkegutscheinen in die Hand zu drücken. Es war also kein Wunder, dass ich nach dem einen oder anderen Jahresendmeeting ordentlich Kritik in der Konzernzentrale zu spüren bekam – völlig zurecht. Und das mit einer solchen Regelmäßigkeit, dass mich meine mitfühlende Frau Angelika zum Jahrsende hin alljährlich fragte, ob ich heuer eigentlich schon meinen „Weihnachtsanschiss“ bekommen hätte. Zudem waren jene Abteilungen eifersüchtig, die eben nicht in den Genuss eines „gallischen Festes“ zum Jahresende kamen. Darauf reagierte ich mit dem Hinweis, sie müssten halt auch eine außergewöhnliche Leistung abliefern, die eine solche Feier rechtfertigen würde. Das war der zweite grobe Fehler, denn du kannst dir vorstellen, dass so eine Aussage bei manchen in die falsche Kehle kommt.

Und der dritte Fehler war die Art und Weise, wie ich aus den Fehlern eins und zwei gelernt habe: Ich wog in aller Ruhe ab, wie wichtig es für mich und meine Teams war, außergewöhnliche Erfolge gebührend zu feiern – gegenüber der berechtigten Kritik und den Konsequenzen, die mir daraufhin drohten.

Schließlich fasste ich einen folgenschweren Entschluss.

Im nächsten Jahr würden wir es wieder tun.



ENDE

 

Es ist nicht wichtig, wer du bist, sondern was du tust.
Noch wichtiger ist es, wie du es tust.
Und am wichtigsten ist es, warum du es tust:
Wegen der Schmetterlinge im Bauch

 

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